Whiskey statt Wodka?

von Anne Applebaum

Am 7. Mai wird Dmitri Medwedjew in sein Amt als Präsident Russlands eingeführt. Er wird den Amtseid ablegen und anschließend von einer präsidialen Wagenkolonne nach Hause geleitet werden, vermutlich zu einer Präsidentendatscha. Aber trotz des offiziellen Pomps weiß niemand, ob Medwedjew die Machtbefugnisse eines russischen Präsidenten auch ausüben wird. Wird er Strohmann sein und die Befehle seines Vorgängers Wladimir Putin entgegennehmen? Oder wird er selbst Befehle geben, Entscheidungen treffen, den Kreml beherrschen?

Obgleich Medwedjew sein Amt in dieser Woche antritt, haben wir immer noch keine Antworten auf diese Fragen – was bei Licht besehen ziemlich beunruhigend ist. In den meisten Demokratien wissen Wähler und Beobachter vielleicht nicht, wer eine Wahl gewinnen wird; sie haben jedoch eine genaue Vorstellung von den Befugnissen und der Verantwortung, die den Sieger erwarten. Doch obwohl Russland manchmal wie eine Demokratie aussieht, ist es keine.

Wahlen werden nicht einfach manipuliert, sie werden sorgfältig im Voraus durchgeplant. Wähler werden nicht einfach bedrängt, sie haben erst gar keine echte Wahl. Die politischen Parteien sind eine Farce, viele sogenannte Organisationen der Zivilgesellschaft sind Tarnorganisationen, und die Presse tut, was die Politiker ihr sagen. Erst vorigen Monat machte die Regierung eine Boulevardzeitung dicht, die es gewagt hatte, die (möglicherweise wahre) Nachricht zu bringen, dass der bisherige Präsident Putin eine Affäre mit einer Turnerin hat, die halb so alt ist wie er. Niemand weiß, ob das Blatt je wieder erscheinen kann, denn die politischen Spielregeln in Russland entstehen nicht in offenen, rechtsstaatlichen Verfahren, sondern werden von einer geheim agierenden Elite festgelegt, deren Namen die Öffentlichkeit vielfach überhaupt nicht erfährt.
Dasselbe gilt für die russische Wirtschaft. Obwohl Russland mitunter fälschlicherweise als Beispiel einer „wilden“ kapitalistischen Marktwirtschaft angeführt wird, hat es nie so etwas wie einen echten Kapitalismus erlebt. Der innere Kreis des Kreml kontrolliert die größten Unternehmen des Landes, deren Manager ihre Investitionsentscheidungen ebenso sehr aufgrund politischer wie wirtschaftlicher Erwägungen treffen. Wenn Gazprom ein Auslandsgeschäft tätigt – ob in Deutschland oder anderswo –, versucht das Unternehmen nicht nur, Profite zu erzielen, sondern auch, im Interesse des russischen Staates Einfluss auszuüben. Gleichzeitig fehlen entscheidende Elemente des Kapitalismus – Kleinbetriebe oder unabhängige Banken etwa – in weiten Teilen des Landes. Die politische und mafiöse Beherrschung aller Sektoren der russischen Wirtschaft macht „normales“ Unternehmertum fast überall unmöglich.

Dennoch hat dieses russische System seine Bewunderer: Wenigstens sei Russland jetzt „stabil“, meinen viele Beobachter. Als Zeichen dieser „Stabilität“ verweisen diese Leute auf die Kontinuität zwischen Putin und seinem Nachfolger Medwedjew: Schließlich habe Ersterer Letzteren ausgesucht, wenn auch in einem nach wie vor undurchsichtigen Verfahren. Außerdem könne die russische Regierung – dank hoher Öl- und Gaspreise – zurzeit ihre Schulden bezahlen, ihren Haushaltsverpflichtungen nachkommen und freigiebiger Geld für soziale Wohltaten ausgeben als in den 90er-Jahren.

Machen wir uns nichts vor: Medwedjews Amtseinführung diese Woche zeugt vielmehr von der immensen Instabilität Russlands. Es bleibt unklar, warum er auserwählt wurde, welche Machtbefugnisse er haben und wie lange er im Amt bleiben wird. In zukünftigen Verhandlungen mit ihm werden wir also nicht einmal wissen, ob wir es mit der russischen Regierung oder einem subalternen Funktionär zu tun haben.
Aber die wirtschaftliche Instabilität, die seine Präsidentschaft nach sich ziehen könnte, wäre vielleicht noch schlimmer. Denn auch Medwedjews Amtsantritt bringt westlichen Firmen in Russland keinerlei Garantien. Medwedjews Machtbefugnisse sind abhängig von der Laune des inneren Kreises; also sind westliche Investitionen von den Launen des Kreml abhängig. Obgleich viele Unternehmen ihre Situation in Russland für gesichert halten, weil sie gute persönliche Beziehungen zur regierenden Elite haben, könnte diese Sicherheit verschwinden, sobald die regierende Elite wechselt. In einem Land ohne Rechtsstaatlichkeit gibt es auch keine Garantie dafür, dass Verträge eingehalten oder rechtliche Besitztitel respektiert werden, wenn die Führung des Landes plötzlich ihre Prioritäten ändert.

Was alles nicht heißen muss, dass Medwedjew kein netter Mensch, oder zumindest ein Mann mit guten Absichten ist. Gut möglich, dass er eine Liberalisierung seines Landes befürwortet, wie manche mutmaßen. Vielleicht bewundert er ja den Westen. Vielleicht trinkt er sogar Whiskey statt Wodka. Aber die Mechanismen, die ihn in dieser Woche an die Macht bringen – und die wir nicht durchschauen –, könnten ihn schon nächsten Monat wieder zu Fall bringen. Solange Russland nicht in rechtsstaatlichen Formen, sondern von den Launen einzelner Personen regiert wird, haben wir keinerlei Anlass, uns auf irgendein russisches Staatsoberhaupt zu verlassen.

Anne Applebaum ist Kolumnistin der „Washington Post“ und zurzeit Fellow der American Academy in Berlin.

Ihr Buch „Der Gulag“ (Goldmann TB) wurde 2004 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.

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